Adoption und alle Themen, die damit zu tun haben, sind noch ein Tabuthemen in Deutschland. In den Köpfen herrscht oftmals die Vorstellung: Man holt sich eben mal ein Kind und dann sind alle glücklich. Eine sehr romantische Vorstellung. Worüber man meiner Meinung nach aber unbedingt mehr reden muss, um auch einen Umgang damit zu finden, sind Adoptionstraumata. Als Trauma bezeichnet man eine seelische Verletzung oder Erschütterung der Psyche durch ein belastendes Ereignis. Das Verlassen der Herkunftsfamilie, das Einleben in eine neue Familie und auch die einzelnen Zwischenstationen bis zur Aufnahme in die neue Familie können traumatisch sein, weil sich die ganze Welt um einen herum verändert. Adoptierte Kinder und Erwachsene haben häufiger Bindungs -, Zurückweisungs – und Trennungsängste als nicht – adoptierte Kinder und Erwachsene. Diese kommen durch die erste Trennung (die Trennung von der leiblichen Mutter) zustande, die im neurologischen System verankert ist. Je nachdem wie alt das Kind zum Zeitpunkt der Adoption ist, welche Gründe für eine Adoption vorliegen, wann und wie Adoption angesprochen wird, was das Kind schon bis dato erlebt hat und wie das Einleben ins neue Leben funktioniert, haben adoptierte Kinder und Erwachsene unterschiedliche Traumata von ihrer Adoption, die teils auch nicht bewusst sind, da sie nicht sehr oder gar nicht die Persönlichkeit beeinflussen.
Ich bin eine Person, bei der durch verschiedene Aspekte meiner Adoption, verschiedene Verhaltensmuster getriggert wurden und werden. Ich bin mit 9 Monaten aus Gambia nach Deutschland ausgereist. Meine leibliche Mutter ist ein paar Wochen nach meiner Geburt gestorben und die nächsten Monate wurde ich innerhalb meines Dorfes hin – und hergereicht. Zwischen meiner Tante, meiner Oma, meinen Cousinen und Cousins, den Ordensschwestern einer katholischen Mission, einer Freundin der Familie, bei der ich dann die meiste Zeit lebte und meiner Mutter, die mehrmals nach Gambia geflogen ist, um die Adoption zu regeln. Ich bin in den Senegal gereist. Ständig kam irgendwer von meiner senegalesischen Familie und wollte mich mitnehmen. Dann sollte ich nach Deutschland fliegen und dann durfte ich doch nicht nach Deutschland fliegen und bin in Gambia geblieben. Kurz nach meiner Adoption war ich dann mit meiner Mutter und zwei meiner Schwestern für ein ganzes Jahr in Polen.
Dass mich das mitgenommen hat, habe ich schon als Kind gut verstanden. Ich habe verstanden, dass ich etwas in Gambia zurückgelassen habe und, dass mir etwas fehlt. Ich habe verstanden, dass ich eine Trennung erlebt habe, die ich nicht verarbeitet hatte. Es ist mir ehrlich schwergefallen, mich in meiner Familie und Deutschland einzuleben. Dass alle in meiner Familie sich ähnlichsehen, nur ich nicht. Dass Bekannte sagen, ich sei das „andere Kind“ und das „Adoptivkind“. Dass die Leute hier mich nicht wirklich mochten, weil ich schwarz bin und, dass ich mich nicht mit allen in der Familie verstanden oder von allen angenommen gefühlt habe. Ich habe viele Dinge und Personen aus Gambia schrecklich vermisst, die ich gar nicht kannte. Dazu kam das Gefühl, den Druck zu haben, meine Herkunft hinter mir lassen zu müssen und keinen Raum in meinem neuen Leben zu geben. Diesem Druck habe ich nie nachgegeben. Gambia und meine Herkunft waren und sind sehr präsent in meinem Leben, genauso wie das Trauma meiner Adoption für mich sehr präsent war und ist. Als Kind und Jugendliche habe ich immer nach Gambia gewollt, mich mehr mit Gambia auseinandergesetzt und auch sehr an meinen leiblichen Verwandten gehangen.
Da ich in den Jahren, in denen ein Neugeborenes Vertrauen aufbaut und sowas wie eine Komfortperson für sich festlegt, viel herumgereist bin und herumgereicht wurde und darüber hinaus mich nicht (immer) von allen in der Familie aufgenommen und angenommen gefühlt habe, fällt es mir bis heute schwer, Menschen zu vertrauen oder mich gar an sie zu binden. Ich habe ziemlich viele Ängste, wenn es um Unbekanntes geht und den ständigen Drang, die Dinge zu kontrollieren oder zumindest kontrollieren zu können, was mich betrifft. Ich brauche für alles Begriffe und Schubladen, um Phänomene einordnen zu können und somit durch Sprache berechenbarer zu machen. Als zukünftige berufliche Laufbahn habe ich mir ein internationales Berufsfeld ausgesucht, weil es mich nicht bindet und nirgends festhält, sodass ich mich nicht für einen Lebensmittelpunkt entscheiden muss. Das ist alles, was ich heute von mir teile.
Ich finde es sehr wichtig, über Trauma zu reden und sich mit den eigenen Traumata zu beschäftigen, auch wenn das eine sehr holprige Reise ist. Adoptiert zu werden, prägt einen und ist Teil der eigenen Story, dem man positiv, negativ oder neutral gegenüberstehen kann. An dieser Stelle ist es mir außerdem wichtig zu betonen, dass nicht jede*r Adoptee sich mit seiner*ihrer Adoption und/oder seinen*ihren „Wurzeln“ auseinandersetzen möchte und das mehr als in Ordnung ist – es ist valide! Und es hat niemand sonst dabei reinzureden oder zu pushen. Die eigene Adoption ist auch ein intimer Part des Lebens und geht nur einen selbst etwas an, wie man mit diesem Part des Lebens umgeht.
Quellen:
https://medium.com/@mindystern/adoption-is-trauma-its-time-to-talk-about-it-ec675ba328cb