Mental Health: Lebensrealitäten abchecken

Für uns kommen in diesem Blog und der Instagram – Plattform viele Querschnitte (Intersektionalitäten) zusammen. Wir sind Bi_PoC. Einige sind adoptiert. Alle haben bisher Rassismuserfahrungen gemacht und alle leben in einer Weißen Familie oder sind in einer aufgewachsen. Man kommt eigentlich nicht drumherum, sich mit diesen verschiedenen Aspekten auseinanderzusetzen. Mit den Meinungen, Vorstellungen, Input und dreisten Behauptungen fremder Menschen. Mit den eigenen Gefühlen, Emotionen und Wünschen. Mit den Möglichkeiten, die man hat, mit all den Dingen umzugehen. Mit den Schwierigkeiten. Mit den Menschen um einen herum. Mit kulturellen Druck. Mit vielen Dingen, die man sich nicht unbedingt ausgesucht hat. Gleichzeitig soll aber auch nicht die Mental Health drunter leiden. Wie das? Letzte Woche habe ich schon erklärt, dass Adoptees um ein vielfaches häufiger mit ihrer mentalen Gesundheit Schwierigkeiten haben als nicht adoptierte Kinder und Erwachsene. Ein ganz großer Stichpunkt in all diesen Intersektionalitäten und Mental Health ist für mich, meine Lebensrealität abzuchecken. Was sagen andere, was ich sehe/fühle/denke und was sehe, fühle und/oder denke ich? Wenn ich auf alle oben genannten Aspekte eingehe, kommt in Kürze folgendes zusammen:

Zum Schwarzsein

Eine ziemlich lange Zeit in meinem Leben habe ich nicht vereinen können, dass ich Schwarz bin, weil mir eine Weiße Realität beigebracht wurde. Dinge, die zur Realität Schwarzer Menschen gehören, konnte ich nicht einordnen, weil sie gar nicht mit dem übereingestimmt haben, was mir vorgelebt und gesagt wurde. Durch Sätze wie „So war das bestimmt nicht“ habe ich meine Lebensrealität als Schwarze bis vor kurzem noch angezweifelt. Erst der Kontakt mit anderen Bi_PoC hat mir gezeigt, dass die Rassismuserfahrungen und meine daraus resultierenden Empfindungen real sind und eine Daseinsberechtigung haben. Realitätscheck: Welche Realität wird mir vorgelebt, welche Realität lebe ich?

Zur Adoption

Mir wurde mein Leben lang vermittelt, meine Adoption ist etwas, wofür ich dankbar sein muss und durch das ich mich angenommen fühlen muss. Das hat aber so oft nicht mit meinen Gefühlen übereingestimmt. Mir wurde so oft gesagt, „dein Leben hat sich zum Besseren gewendet“, „du hast Glück gehabt“ und „jetzt geht es dir besser“ und es war einfach nicht meine Realität, weil ich mein Leben im Herkunftsland nicht gelebt habe und somit nicht sagen kann, ob es mir jetzt besser geht oder Glück gehabt habe. Letzte Woche habe ich schon erwähnt, wie sehr ich mit meiner Adoption gestruggelt habe, d.h., dass diese Sätze auch einfach oft nicht mit meinem Gefühl übereingestimmt haben. Realitätscheck: Welche Realität hätte ich möglicherweise gelebt und welche Realität lebe ich?

Zur Weißen Familie

Hypothesen zu meiner Familie habe ich auch schon viele von wildfremden Menschen bekommen, die meinen, meine Familie sei nicht „die richtige“, nicht „echt“ und einfach nicht meine. Sehr dreist. Das wurde mir sehr viel vermittelt und es ist aber nicht das, was ich so verbuchen würde. Eine Weiße Familie ist meine Realität. Eine nicht – biologische Person meine Schwester und Mutter zu nennen, ist meine Realität. Dass die Personen, die ich so nenne, das auch sind, ist Fakt! Realitätscheck: Wie stehe ich zu meiner Familien und was können andere Menschen nicht einordnen?

Zum Schwarzsein in einer Weißen Familie

Mir fällt gerade beim Schreiben auf, wie arrogant manche Menschen sind, dass sie Gedanken und Hypothesen zu herausposaunen, als hätte ich nur auf eine Erleuchtung durch diese gewartet. Wirklich frech. Aber naja. Vor allem Schwarze Menschen haben oft die Hypothese aufgestellt, dass es schrecklich sein muss, Schwarz in einer Weißen Familie sein zu müssen, wohingegen mir Weiße Menschen sehr viel zugerechnet haben, als Weiß sozialisierte Schwarze. Again: Das ist meine Realität. Zu sagen, dass es etwas Schreckliches ist, in meiner Weißen Familie aufzuwachsen, ist ganz allein meine Position. Realitätscheck: Wie lebe ich in meiner Familie und was behaupten Außenstehende?

Für mich fängt meine mental health an zu zerfallen, wenn ich nicht mehr genau weiß oder empfinden kann, welche Realität ich lebe oder meine gelebte Realität anfängt, sich falsch anzufühlen. Immer wieder atme ich kurz durch und mache bewusst, dass meine Realität valide ist. Dass niemand außer mir sagen kann, was sich für mich rassistisch, übergriffig, falsch oder unwohl anfühlt. Niemand außer mir, kann sagen, ob mein Aufwachsen in einer Weißen Familie besonders gut oder schlecht war. Ob meine Adoption besonders gewinnbringend für mich war oder nicht. Fakt ist: Meine Empfindungen, Realitätsansichten und meine Ansprüche an diese Realität sind valide. Diese Validität ist etwas, das ich mir als Schwarze und als Schwarze Frau, als nicht gebürtige Deutsche, als Adoptee und als Schwarze in einer Weißen Familie immer wieder und wieder erstreiten und durchbringen muss. Das kommt mit diesen Querschnitten als Schwarze Person, Adoptee und Weißer Familie und ich weiß, dass ich mit dem schweren Jonglieren dieser Querschnitte nicht alleine stehe.