„Willst du nicht zurück an deine Wurzeln?“

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Willkommen zurück!

Die Frage, ob eine adoptierte Person oder auch ein biologisches Kind of Colour an seine „Wurzeln“ bzw. an die „Wurzeln“ des Elternteils of Colour zurückreisen, -ziehen oder -gehen will, ist unglaublich übergriffig und auch nicht selten rassistisch. Die Hypothese aufzustellen, dass man das wollen muss, ist total ignorant für die Bedürfnisse der Person und macht die individuellen Sichtweisen und Emotionen unsichtbar.

Zum einen impliziert die Frage nach den „Wurzeln“, dass eine Nicht – Weiße Person, egal ob adoptiert oder nicht, ihre Heimat nicht hier in Deutschland haben kann und somit nicht so richtig oder gar nicht hier verwurzelt ist. Dabei kann jede Person überall „Wurzeln“ schlagen, egal ob es der Ort ist, an dem man geboren wurde oder nicht. Es ist rassistisch davon auszugehen, dass eine Person of Colour nicht gleichzeitig deutsch sein kann und/oder hier nicht Zuhause ist. Davon auszugehen, dass Bi_PoC wieder zurückgehen, ist ebenfalls rassistisch. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland daran gearbeitet, vor allem Schwarze Menschen loszuwerden, indem man sie während des 2. Weltkriegs durch den Staat ermordete, zu Zeiten der Teilung und danach deportierte, Kinder von US – amerikanischen Schwarzen Soldaten in die USA zur Adoption freigab oder, wie derzeit am Mittelmeer zu beobachten, gar nicht erst aufnehmen will. Es wird davon ausgegangen, dass eine Person of Colour und damit auch automatisch nicht–deutsche Person wieder „zurück in ihr Land“ geht, nachdem ihre Daseinsberechtigung hier verwirkt ist (durch Volljährigkeit, Ablauf des Arbeitsvisums etc.).  

Zum anderen gründet sich diese Frage auf der stereotypischen Vorstellung, dass jede adoptierte Person unbedingt die Herkunftsfamilie kennenlernen möchte. Fakt ist aber, dass das ein höchst persönliches und individuelles Bedürfnis ist und sich nicht jede*r Adoptee dazu entscheidet oder auch entscheiden möchte. Nicht–adoptierte Menschen, die sich meist auch nicht mit Adoption, geschweige denn der Adoption des Gegenübers auseinandergesetzt haben, finden es oft komisch, dass eine adoptierte oder eine biracial Person of Colour die Herkunftsfamilie oder das Herkunftsland nicht kennenlernen will und verheimlichen ihre Wertung dessen auch nicht.

Ob, wann, wo und wie man zur Herkunftsfamilie oder ins Herkunftsland reisen will, hängt von unzähligen Faktoren ab: Wie wurde die Adoption in der Familie be – oder angesprochen? Wie steht man zur eigenen Adoption? Wie ist die Adoption verlaufen? Weiß man etwas über seine Herkunftsfamilie? Wie ist die emotionale und körperliche Verfassung? Welche Art von Adoption liegt vor? Ist Interesse da? Will die Herkunftsfamilie Kontakt aufnehmen? Warum wurde man adoptiert? Wie steht das Nicht – Weiße Elternteil zum Herkunftsland? Wie steht der Rest der Familie zur Kontaktaufnahme oder zur Reise? In welcher Lebensphase befindet man sich? Wie steht es finanziell? Und so weiter und so fort. Ich könnte bis morgen hier sitzen und Faktoren aufzählen, die den Wunsch, die Entscheidung und die Ablehnung eines Kennenlernens der „Wurzeln“ beeinflussen. Es ist vollkommen utopisch zu denken, dass jede*r Adoptee und jede biracial Person gleich ist und sich mit der eigenen Herkunft auseinandersetzen will.

Zum Schluss: Diese Frage zu stellen oder sogar Hypothesen dazu aufzustellen, ist unverschämt übergriffig, weil es eine fremde Person nichts angeht. Ehrlich gesagt, geht es niemanden etwas an, wenn die entscheidende Person das nicht wünscht. Wie sich wer mit seiner*ihrer Herkunft auseinandersetzt, ist sehr persönlich. Die Antwort, die auf die Frage kommt, dann auch noch zu werten, ist einfach nur frech und dreist. Niemand hat zu bewerten oder zu beurteilen noch zu verurteilen, was eine Person aus und mit seiner*ihrer Vergangenheit macht!

Liebe Nichtadoptierte und Weiße Leute: Hört auf Nicht – Weiße Menschen danach zu fragen, wo sie herkommen und ob sie dorthin zurück wollen. Es ist rassistisch, es ist übergriffig und einfach nur unverschämt.

Liebe Adoptees und Bi_PoC: Lasst euch von niemanden sagen, wie ihr mit eurer Vergangenheit im Sinne von Herkunft umzugehen habt. Wir können „Wurzeln“ schlagen, wo wir wollen. Wir sind niemanden Rechenschaft schuldig und wir haben eine Daseinsberechtigung überall!

Bis zum nächsten Mal!

Elli