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Welcome back! Ich liege hier in meinem Bett, höre meine “My black vibe“ – Playlist und reflektiere meine bisheriges rassismuskritisches Denken. Ich habe heute (Freitag, 02.10.) zur gewaltvollen Bedeutung des Satzes „Ich bin nicht rassistisch. Zu diesen Menschen würde ich mich nicht zählen“ gepostet und erklärt. Gestern habe ich zu White Supremacy in Form von toxischer Weißer Weiblichkeit gepostet und mit Menschen diskutiert. Vorgestern habe ich den Blackinwhitefamily MoneyPool eingerichtet. Dann hatte ich gestern ein Meeting mit zwei Freunden, mit denen ich ein rassismuskritisches Empowerment – Projekt auf die Beine stelle. In dieser Woche hatte ich so viel schriftlichen Austausch mit Weißen Eltern zum Thema Empowerment Schwarzer Kinder wie noch nie in meinem Leben. Ich arbeite rassismuskritisch und es ist wertvoll. Ich setze mich jeden einzelnen Tag mit Rassismus und dem Abbau von internalisierten Rassismen auseinander. Nein, ich arbeite jeden Tag für den Abbau von internalisierten Rassismen. Ich bin eine politische und aktivistische Person – durch meine Arbeit und vor allem durch den Fakt, dass ich in einem System atme, das dafür geschaffen ist, meine Existenz problemlos abzusprechen. Das ist eine Erkenntnis, die ich habe, seit ich angefangen habe, rassismuskritisch zu denken.
Als Weiß sozialisierte Schwarze ist es mir von kleinauf beigebracht worden, Rassismus nicht kritisch zu begegnen, sondern mir das schädigende Privileg aufzuzwingen, Rassismus zu leugnen. So sehr, dass ich mich bis zu George Floyds Tod vehement und krampfhaft von „den anderen Schwarzen“ oder auch „den Blacks in America“, wie ich sie genannt habe, abgespalten habe. Ich war davon überzeugt, dass andere Schwarze auf hypersensible Art und Weise Rassismus überall sehen. Und das ist, wo ich White Supremacy aktiv und passiv unterstützt hab. Dann habe ich die Massen bei den Demos gesehen und es war echt als hätte jemand die Schraube gelöst, die festgesessen hat. Rassismuskritisches Denken kommt mir jetzt, wo ich in dem Feld arbeite, als ein dreistes Minimum vor. Aber es ist für Weiße und für Nicht – Weiße Menschen, die wir alle rassistisch sozialisiert sind und gelernt haben, dass so wie die Dinge laufen schon in Ordnung ist, ein gewaltiger Sprung, diese Balance überhaupt in Frage zu stellen. Wo sollen wir es lernen? Wäre das System so ausgerichtet, dass hier jede*r eines Morgens aufwacht und einfach sagt „Hm, sehe ich nicht so, lass das mal ändern“, dann wären wir Jahrhunderte später nicht immer noch an diesem Punkt.
Durch Weiße Sozialisierung und White Supremacy habe ich als Schwarze gelernt, mich selbst zu gaslighten und Rassismus zu leugnen bzw. gar nicht erst zu erkennen. Egal, wie falsch es sich angefühlt hat, dass Menschen mich anstarren, das N – Wort sagen, mich ausgrenzen oder sogar gewalttätig werden: Das ist doch kein Rassismus! Hat es mir gefallen? Nein. Hab ich mich wohlgefühlt? Nein. Hab ich gedacht, irgendwas ist hier falsch, warum ist das so? Auch nein. Es ist schmerzhaft für mich, mir anzueignen, Rassismus zu erkennen. Nicht unangenehm, wie für Weiße Menschen, die sich dann irgendwie schuldig fühlen und mit ihrer Moral auf Kriegsfuß stehen. Es ist schmerzhaft, trotz all des wundervollen Daseins, das ich am Schwarzsein entdeckt habe und immer neu entdecke. Ich laufe durch die Gegend und ich laufe auf Hochtouren. Ich denke mir Sprüche, die ich sagen kann, Orte, wo ich hinrennen kann, wenn jetzt jemand etwas Entmenschlichendes sagt oder mich angreifen will. Die letzte Woche war ich krank. Und ich war zweimal im Krankenhaus. Seit ich mich belese und mir aneigne, Rassismus zu erkennen, bin ich im höchsten Maße aufmerksam, wie mich Menschen vor allem als darkskinned Schwarze Frau behandeln. Auf dem Weg zum Krankenhaus war alles, was ich denken konnte: Hoffentlich nehmen die mich ernst. Als die Medikamente nicht gewirkt haben, war alles, was ich denken konnte: Wirken die Medikamente nicht, weil sie mir eine geringere Dosis eingeflößt haben? Einen Moment später hatte ich total Panik, dass es in einer Woche heißt, ich hätte zu weit fortgeschrittenen Krebs oder so und niemand habe es gesehen, weil die Ärzte meine Schmerzen nicht ernst genug genommen haben, um genau hinzuschauen. Alle Weißen Menschen, die das gerade lesen: Ihr wisst nicht, was für ein energieraubender Stress für Körper und Geist das ist. Wenn eure Existenz politisch ist und ihr sie jede Minute rechtfertigen müsst. Für Nicht – Weiße Menschen ist es eine tägliche Einschneidung in den Seelenfrieden, rassismuskritisch aufzuwachen und Rassismus sowie die eigenen Rassismuserfahrungen anzuerkennen. Rassismuskritisch zu denken ist schmerzhaft, weil Freundschaften und Beziehungen zu Familienmitgliedern plötzlich nicht mehr das sind, was sie mal waren. Weil man genauer sieht, wo die Prioritäten für diese liegen und wie viel sie bereit sind zu tun, um ein weniger schädigendes Umfeld für einen zu schaffen, damit es einem gut geht. Weil man sieht, wie hart man arbeiten muss, um wirklich halb so weit zu kommen wie die Weißen Menschen um einen rum. Ich dachte, „die anderen Schwarzen“ übertreiben, aber ich sehe es jetzt und ich erkenne an, dass ich die mangelnde Wertschätzung und die Marginalisierung Bi_PoC’s – meine eigene mit eingeschlossen – lange verdrängt und unsichtbar gemacht habe. Rassismuskritisch zu denken, müssen wir alle lernen.
Sobald ich Rassismus und meine eigenen Rassismuserfahrungen sowie die Stellung von Bi_PoC in diesem System anerkannt habe, ging alles so schnell. Für mich war sofort klar: Ich muss antirassistisch arbeiten, damit sich hier was ändert. Ich muss was sagen, ich muss was machen. Und hier ist der Punkt, wo ich am stärksten gemerkt habe, wie rassismuskritisches Denken bei Nicht – Weißen und Weißen Menschen verschiedene Gewichtung erfährt. Ich arbeite an mir und meiner Umwelt, weil es klar mich selbst betrifft, aber auch, weil ich eine Zukunft habe, für die ich arbeite. Deshalb ist es auch so verletzend, wenn ich sehe, welche Familienmitglieder sich nicht der Aufgabe verschreiben, rassismuskritisch und irgendwann vielleicht sogar antirassistisch an sich und ihrer Umwelt zu arbeiten. Die Frage, die ich mir dann oft stelle, ist: Sind denen meine Sicherheit und mein Wohlbefinden nicht wichtig genug? Oder anders ausgedrückt: Sind ihnen ihre Privilegien, wie das Privileg, einfach wegzuschauen, wichtiger?
Rassismuskritisches Denken und antirassistische Arbeit sind eine lebenslange Bindung, die man eingeht – für jeden. Und sie kennt keine Grenzen, sie erweitert sich, je mehr man an sich arbeitet, je mehr man hinterfragt und letztlich ändert. Deshalb kann niemand jemals von sich behaupten, einen Status der Vollkommenheit diesbezüglich erreicht zu haben. Es ist ein niemals endender Prozess. Er beinhaltet kleine Dinge, wie mir anzueignen, Begriffe wie „Entwicklungsland“ durch „Land des globalen Südens“ zu ersetzen und im nächsten Schritt die Haltung dahinter zu ändern. Er beinhaltet aber auch richtig anstrengende Aspekte, wie internalisierten Selbsthass und toxische Weiblichkeitsideale, die vor White Supremacy nur so triefen, abzulegen. Es ist gefährlich und es gewaltvoll von sich zu behaupten, man habe die Arbeit nicht mehr nötig, weil man einen Aha – Moment hatte oder ein Schwarzes Familienmitglied hat oder eben vom System schädigend betroffen ist. Rassismuskritisch zu denken anzufangen, ist wichtig für mich, weil es für mich als Schwarze bedeutet, meine Menschlichkeit und meine Existenzberechtigung nicht mehr in Frage zu stellen.
Side note an alle Weißen Menschen, die das lesen: Fragt euch, wo und wie ihr Rassismus in eurem täglichen Leben in Frage stellt. Was tut ihr, um eure Rassismen abzubauen? Wenn ihr mit Bi_PoC ins Gespräch über Rassismus geht, ist es euch dabei wichtiger, eure Sicht der Dinge deutlich zu machen und zu validieren oder zu verstehen und zu hinterfragen, was eure Sicht der Dinge für die Lebensrealitäten Bi_PoC im rassistischen System bedeutet?