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Triggerwarnung: Adoptionstrauma
Ich bin mit ungefähr neun Monaten aus Gambia ausgereist. Ich habe schon mal in diesem Blog angesprochen, dass meine Adoption und meine Integration hier in Deutschland für mich sehr traumatisch waren und mir schon immer – auch als Kind – auf ganz seltsame Art und Weise bewusst war, dass ich etwas in Gambia zurückgelassen hatte. Diesen Zustand der Entwurzelung hatte ich sehr lange als Kind und auch bis in meine Jugend hinein. Ich hatte oft Albträume, in denen ich leibliche Verwandte – hauptsächlich meine leibliche Mutter – verlor sowie Panikattacken, weil ich Angst hatte, dass ich meine Tante und meine restlichen Verwandten nie wiedersehen würde. Jahrelang habe ich darauf bestanden, wieder zurückzufliegen.
Als ich Gambia zum zweiten Mal in meinem Leben verließ, habe ich plötzlich schrecklich angefangen zu weinen, obwohl es mir bei den Verabschiedungen von meinen leiblichen Familienmitgliedern gut ging. Sobald das Flugzeug den gambischen Boden verlassen hatte und ich die Lichter von Serekunda und Banjul unter mir sah, hat sich plötzlich ein ganz schreckliches Gefühl in mir breit gemacht. In dem Moment konnte ich nicht sagen oder einordnen, was passierte und mich so mitnahm. Ich wusste doch, dass ich wieder zurückfliegen kann. Ich habe mich trotzdem gefühlt, als würde ich mein Zuhause verlassen – widerwillig und auf unbestimmte Zeit. Als würde ich gezwungen und wüsste nicht, was mich dann am anderen Ende erwartet – obwohl, ich hier Dinge und Personen habe, auf die ich mich gefreut habe. Es war grauenhaft.
Dann kamen die Corona-Einschränkungen und ich war im Home Office und es hat mich in eine regelrechte (Identitäts-) Krise verschlagen. Ich habe mein Zimmer nicht so viel verlassen, habe wenig gegessen, hatte Heulkrämpfe und Panikattacken, konnte nachts nicht schlafen und war ständig weit nach Mitternacht spazieren. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich nicht hier sein sollte. Es hat sich falsch angefühlt, dass ich hier bin und der Rest meiner Familie nicht. Ich habe mich plötzlich entwurzelt gefühlt, fehl am Platz, nirgendwo zugehörig und einfach falsch. Zwanghaft habe ich gepuzzelt und gepuzzelt – mehrmals dasselbe Puzzle, als könnte ich so mein Leben irgendwie wieder zusammenstecken. (Ich mache das immer, wenn mich etwas sehr erschüttert: Ich puzzle etwas zusammen.) Ich habe die Küchenutensilien neu geordnet. Am liebsten hätte ich sofort meine Sachen gepackt und den nächsten Flug gebucht, um wieder zurückzufliegen. Ich würde die Sprachen einfach lernen, mir einen Job suchen und einfach dorthin zurückgehen.
Aus meinem heutigen Blickwinkel und meinem heutigen Wissen würde ich sagen, dass dieses Gefühl beim Abheben des Flugzeugs Entwurzelung war und der Zustand, in dem ich mich befand, Retraumatisierung. Ich bemerke eine ähnliche Retraumatisierung in vielen Situationen in meinem Leben, wenn ich Panikattacken habe oder vollkommen irrationale Angstzustände. Auch wenn es meist unterschwellig ist, weiß ich, dass mein Körper sich an das Trauma meiner Entwurzelung und Integration erinnert.