„Willst du nicht zurück an deine Wurzeln?“

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Willkommen zurück!

Die Frage, ob eine adoptierte Person oder auch ein biologisches Kind of Colour an seine „Wurzeln“ bzw. an die „Wurzeln“ des Elternteils of Colour zurückreisen, -ziehen oder -gehen will, ist unglaublich übergriffig und auch nicht selten rassistisch. Die Hypothese aufzustellen, dass man das wollen muss, ist total ignorant für die Bedürfnisse der Person und macht die individuellen Sichtweisen und Emotionen unsichtbar.

Zum einen impliziert die Frage nach den „Wurzeln“, dass eine Nicht – Weiße Person, egal ob adoptiert oder nicht, ihre Heimat nicht hier in Deutschland haben kann und somit nicht so richtig oder gar nicht hier verwurzelt ist. Dabei kann jede Person überall „Wurzeln“ schlagen, egal ob es der Ort ist, an dem man geboren wurde oder nicht. Es ist rassistisch davon auszugehen, dass eine Person of Colour nicht gleichzeitig deutsch sein kann und/oder hier nicht Zuhause ist. Davon auszugehen, dass Bi_PoC wieder zurückgehen, ist ebenfalls rassistisch. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland daran gearbeitet, vor allem Schwarze Menschen loszuwerden, indem man sie während des 2. Weltkriegs durch den Staat ermordete, zu Zeiten der Teilung und danach deportierte, Kinder von US – amerikanischen Schwarzen Soldaten in die USA zur Adoption freigab oder, wie derzeit am Mittelmeer zu beobachten, gar nicht erst aufnehmen will. Es wird davon ausgegangen, dass eine Person of Colour und damit auch automatisch nicht–deutsche Person wieder „zurück in ihr Land“ geht, nachdem ihre Daseinsberechtigung hier verwirkt ist (durch Volljährigkeit, Ablauf des Arbeitsvisums etc.).  

Zum anderen gründet sich diese Frage auf der stereotypischen Vorstellung, dass jede adoptierte Person unbedingt die Herkunftsfamilie kennenlernen möchte. Fakt ist aber, dass das ein höchst persönliches und individuelles Bedürfnis ist und sich nicht jede*r Adoptee dazu entscheidet oder auch entscheiden möchte. Nicht–adoptierte Menschen, die sich meist auch nicht mit Adoption, geschweige denn der Adoption des Gegenübers auseinandergesetzt haben, finden es oft komisch, dass eine adoptierte oder eine biracial Person of Colour die Herkunftsfamilie oder das Herkunftsland nicht kennenlernen will und verheimlichen ihre Wertung dessen auch nicht.

Ob, wann, wo und wie man zur Herkunftsfamilie oder ins Herkunftsland reisen will, hängt von unzähligen Faktoren ab: Wie wurde die Adoption in der Familie be – oder angesprochen? Wie steht man zur eigenen Adoption? Wie ist die Adoption verlaufen? Weiß man etwas über seine Herkunftsfamilie? Wie ist die emotionale und körperliche Verfassung? Welche Art von Adoption liegt vor? Ist Interesse da? Will die Herkunftsfamilie Kontakt aufnehmen? Warum wurde man adoptiert? Wie steht das Nicht – Weiße Elternteil zum Herkunftsland? Wie steht der Rest der Familie zur Kontaktaufnahme oder zur Reise? In welcher Lebensphase befindet man sich? Wie steht es finanziell? Und so weiter und so fort. Ich könnte bis morgen hier sitzen und Faktoren aufzählen, die den Wunsch, die Entscheidung und die Ablehnung eines Kennenlernens der „Wurzeln“ beeinflussen. Es ist vollkommen utopisch zu denken, dass jede*r Adoptee und jede biracial Person gleich ist und sich mit der eigenen Herkunft auseinandersetzen will.

Zum Schluss: Diese Frage zu stellen oder sogar Hypothesen dazu aufzustellen, ist unverschämt übergriffig, weil es eine fremde Person nichts angeht. Ehrlich gesagt, geht es niemanden etwas an, wenn die entscheidende Person das nicht wünscht. Wie sich wer mit seiner*ihrer Herkunft auseinandersetzt, ist sehr persönlich. Die Antwort, die auf die Frage kommt, dann auch noch zu werten, ist einfach nur frech und dreist. Niemand hat zu bewerten oder zu beurteilen noch zu verurteilen, was eine Person aus und mit seiner*ihrer Vergangenheit macht!

Liebe Nichtadoptierte und Weiße Leute: Hört auf Nicht – Weiße Menschen danach zu fragen, wo sie herkommen und ob sie dorthin zurück wollen. Es ist rassistisch, es ist übergriffig und einfach nur unverschämt.

Liebe Adoptees und Bi_PoC: Lasst euch von niemanden sagen, wie ihr mit eurer Vergangenheit im Sinne von Herkunft umzugehen habt. Wir können „Wurzeln“ schlagen, wo wir wollen. Wir sind niemanden Rechenschaft schuldig und wir haben eine Daseinsberechtigung überall!

Bis zum nächsten Mal!

Elli

Mental Health: Lebensrealitäten abchecken

Für uns kommen in diesem Blog und der Instagram – Plattform viele Querschnitte (Intersektionalitäten) zusammen. Wir sind Bi_PoC. Einige sind adoptiert. Alle haben bisher Rassismuserfahrungen gemacht und alle leben in einer Weißen Familie oder sind in einer aufgewachsen. Man kommt eigentlich nicht drumherum, sich mit diesen verschiedenen Aspekten auseinanderzusetzen. Mit den Meinungen, Vorstellungen, Input und dreisten Behauptungen fremder Menschen. Mit den eigenen Gefühlen, Emotionen und Wünschen. Mit den Möglichkeiten, die man hat, mit all den Dingen umzugehen. Mit den Schwierigkeiten. Mit den Menschen um einen herum. Mit kulturellen Druck. Mit vielen Dingen, die man sich nicht unbedingt ausgesucht hat. Gleichzeitig soll aber auch nicht die Mental Health drunter leiden. Wie das? Letzte Woche habe ich schon erklärt, dass Adoptees um ein vielfaches häufiger mit ihrer mentalen Gesundheit Schwierigkeiten haben als nicht adoptierte Kinder und Erwachsene. Ein ganz großer Stichpunkt in all diesen Intersektionalitäten und Mental Health ist für mich, meine Lebensrealität abzuchecken. Was sagen andere, was ich sehe/fühle/denke und was sehe, fühle und/oder denke ich? Wenn ich auf alle oben genannten Aspekte eingehe, kommt in Kürze folgendes zusammen:

Zum Schwarzsein

Eine ziemlich lange Zeit in meinem Leben habe ich nicht vereinen können, dass ich Schwarz bin, weil mir eine Weiße Realität beigebracht wurde. Dinge, die zur Realität Schwarzer Menschen gehören, konnte ich nicht einordnen, weil sie gar nicht mit dem übereingestimmt haben, was mir vorgelebt und gesagt wurde. Durch Sätze wie „So war das bestimmt nicht“ habe ich meine Lebensrealität als Schwarze bis vor kurzem noch angezweifelt. Erst der Kontakt mit anderen Bi_PoC hat mir gezeigt, dass die Rassismuserfahrungen und meine daraus resultierenden Empfindungen real sind und eine Daseinsberechtigung haben. Realitätscheck: Welche Realität wird mir vorgelebt, welche Realität lebe ich?

Zur Adoption

Mir wurde mein Leben lang vermittelt, meine Adoption ist etwas, wofür ich dankbar sein muss und durch das ich mich angenommen fühlen muss. Das hat aber so oft nicht mit meinen Gefühlen übereingestimmt. Mir wurde so oft gesagt, „dein Leben hat sich zum Besseren gewendet“, „du hast Glück gehabt“ und „jetzt geht es dir besser“ und es war einfach nicht meine Realität, weil ich mein Leben im Herkunftsland nicht gelebt habe und somit nicht sagen kann, ob es mir jetzt besser geht oder Glück gehabt habe. Letzte Woche habe ich schon erwähnt, wie sehr ich mit meiner Adoption gestruggelt habe, d.h., dass diese Sätze auch einfach oft nicht mit meinem Gefühl übereingestimmt haben. Realitätscheck: Welche Realität hätte ich möglicherweise gelebt und welche Realität lebe ich?

Zur Weißen Familie

Hypothesen zu meiner Familie habe ich auch schon viele von wildfremden Menschen bekommen, die meinen, meine Familie sei nicht „die richtige“, nicht „echt“ und einfach nicht meine. Sehr dreist. Das wurde mir sehr viel vermittelt und es ist aber nicht das, was ich so verbuchen würde. Eine Weiße Familie ist meine Realität. Eine nicht – biologische Person meine Schwester und Mutter zu nennen, ist meine Realität. Dass die Personen, die ich so nenne, das auch sind, ist Fakt! Realitätscheck: Wie stehe ich zu meiner Familien und was können andere Menschen nicht einordnen?

Zum Schwarzsein in einer Weißen Familie

Mir fällt gerade beim Schreiben auf, wie arrogant manche Menschen sind, dass sie Gedanken und Hypothesen zu herausposaunen, als hätte ich nur auf eine Erleuchtung durch diese gewartet. Wirklich frech. Aber naja. Vor allem Schwarze Menschen haben oft die Hypothese aufgestellt, dass es schrecklich sein muss, Schwarz in einer Weißen Familie sein zu müssen, wohingegen mir Weiße Menschen sehr viel zugerechnet haben, als Weiß sozialisierte Schwarze. Again: Das ist meine Realität. Zu sagen, dass es etwas Schreckliches ist, in meiner Weißen Familie aufzuwachsen, ist ganz allein meine Position. Realitätscheck: Wie lebe ich in meiner Familie und was behaupten Außenstehende?

Für mich fängt meine mental health an zu zerfallen, wenn ich nicht mehr genau weiß oder empfinden kann, welche Realität ich lebe oder meine gelebte Realität anfängt, sich falsch anzufühlen. Immer wieder atme ich kurz durch und mache bewusst, dass meine Realität valide ist. Dass niemand außer mir sagen kann, was sich für mich rassistisch, übergriffig, falsch oder unwohl anfühlt. Niemand außer mir, kann sagen, ob mein Aufwachsen in einer Weißen Familie besonders gut oder schlecht war. Ob meine Adoption besonders gewinnbringend für mich war oder nicht. Fakt ist: Meine Empfindungen, Realitätsansichten und meine Ansprüche an diese Realität sind valide. Diese Validität ist etwas, das ich mir als Schwarze und als Schwarze Frau, als nicht gebürtige Deutsche, als Adoptee und als Schwarze in einer Weißen Familie immer wieder und wieder erstreiten und durchbringen muss. Das kommt mit diesen Querschnitten als Schwarze Person, Adoptee und Weißer Familie und ich weiß, dass ich mit dem schweren Jonglieren dieser Querschnitte nicht alleine stehe.  

Adoptionstrauma

Adoption und alle Themen, die damit zu tun haben, sind noch ein Tabuthemen in Deutschland. In den Köpfen herrscht oftmals die Vorstellung: Man holt sich eben mal ein Kind und dann sind alle glücklich. Eine sehr romantische Vorstellung. Worüber man meiner Meinung nach aber unbedingt mehr reden muss, um auch einen Umgang damit zu finden, sind Adoptionstraumata. Als Trauma bezeichnet man eine seelische Verletzung oder Erschütterung der Psyche durch ein belastendes Ereignis. Das Verlassen der Herkunftsfamilie, das Einleben in eine neue Familie und auch die einzelnen Zwischenstationen bis zur Aufnahme in die neue Familie können traumatisch sein, weil sich die ganze Welt um einen herum verändert. Adoptierte Kinder und Erwachsene haben häufiger Bindungs -, Zurückweisungs – und Trennungsängste als nicht – adoptierte Kinder und Erwachsene. Diese kommen durch die erste Trennung (die Trennung von der leiblichen Mutter) zustande, die im neurologischen System verankert ist. Je nachdem wie alt das Kind zum Zeitpunkt der Adoption ist, welche Gründe für eine Adoption vorliegen, wann und wie Adoption angesprochen wird, was das Kind schon bis dato erlebt hat und wie das Einleben ins neue Leben funktioniert, haben adoptierte Kinder und Erwachsene unterschiedliche Traumata von ihrer Adoption, die teils auch nicht bewusst sind, da sie nicht sehr oder gar nicht die Persönlichkeit beeinflussen.

Ich bin eine Person, bei der durch verschiedene Aspekte meiner Adoption, verschiedene Verhaltensmuster getriggert wurden und werden. Ich bin mit 9 Monaten aus Gambia nach Deutschland ausgereist. Meine leibliche Mutter ist ein paar Wochen nach meiner Geburt gestorben und die nächsten Monate wurde ich innerhalb meines Dorfes hin – und hergereicht. Zwischen meiner Tante, meiner Oma, meinen Cousinen und Cousins, den Ordensschwestern einer katholischen Mission, einer Freundin der Familie, bei der ich dann die meiste Zeit lebte und meiner Mutter, die mehrmals nach Gambia geflogen ist, um die Adoption zu regeln. Ich bin in den Senegal gereist. Ständig kam irgendwer von meiner senegalesischen Familie und wollte mich mitnehmen. Dann sollte ich nach Deutschland fliegen und dann durfte ich doch nicht nach Deutschland fliegen und bin in Gambia geblieben. Kurz nach meiner Adoption war ich dann mit meiner Mutter und zwei meiner Schwestern für ein ganzes Jahr in Polen.

Dass mich das mitgenommen hat, habe ich schon als Kind gut verstanden. Ich habe verstanden, dass ich etwas in Gambia zurückgelassen habe und, dass mir etwas fehlt. Ich habe verstanden, dass ich eine Trennung erlebt habe, die ich nicht verarbeitet hatte. Es ist mir ehrlich schwergefallen, mich in meiner Familie und Deutschland einzuleben. Dass alle in meiner Familie sich ähnlichsehen, nur ich nicht. Dass Bekannte sagen, ich sei das „andere Kind“ und das „Adoptivkind“. Dass die Leute hier mich nicht wirklich mochten, weil ich schwarz bin und, dass ich mich nicht mit allen in der Familie verstanden oder von allen angenommen gefühlt habe. Ich habe viele Dinge und Personen aus Gambia schrecklich vermisst, die ich gar nicht kannte. Dazu kam das Gefühl, den Druck zu haben, meine Herkunft hinter mir lassen zu müssen und keinen Raum in meinem neuen Leben zu geben. Diesem Druck habe ich nie nachgegeben. Gambia und meine Herkunft waren und sind sehr präsent in meinem Leben, genauso wie das Trauma meiner Adoption für mich sehr präsent war und ist. Als Kind und Jugendliche habe ich immer nach Gambia gewollt, mich mehr mit Gambia auseinandergesetzt und auch sehr an meinen leiblichen Verwandten gehangen.

Da ich in den Jahren, in denen ein Neugeborenes Vertrauen aufbaut und sowas wie eine Komfortperson für sich festlegt, viel herumgereist bin und herumgereicht wurde und darüber hinaus mich nicht (immer) von allen in der Familie aufgenommen und angenommen gefühlt habe, fällt es mir bis heute schwer, Menschen zu vertrauen oder mich gar an sie zu binden. Ich habe ziemlich viele Ängste, wenn es um Unbekanntes geht und den ständigen Drang, die Dinge zu kontrollieren oder zumindest kontrollieren zu können, was mich betrifft. Ich brauche für alles Begriffe und Schubladen, um Phänomene einordnen zu können und somit durch Sprache berechenbarer zu machen. Als zukünftige berufliche Laufbahn habe ich mir ein internationales Berufsfeld ausgesucht, weil es mich nicht bindet und nirgends festhält, sodass ich mich nicht für einen Lebensmittelpunkt entscheiden muss. Das ist alles, was ich heute von mir teile.

Ich finde es sehr wichtig, über Trauma zu reden und sich mit den eigenen Traumata zu beschäftigen, auch wenn das eine sehr holprige Reise ist. Adoptiert zu werden, prägt einen und ist Teil der eigenen Story, dem man positiv, negativ oder neutral gegenüberstehen kann. An dieser Stelle ist es mir außerdem wichtig zu betonen, dass nicht jede*r Adoptee sich mit seiner*ihrer Adoption und/oder seinen*ihren „Wurzeln“ auseinandersetzen möchte und das mehr als in Ordnung ist – es ist valide! Und es hat niemand sonst dabei reinzureden oder zu pushen. Die eigene Adoption ist auch ein intimer Part des Lebens und geht nur einen selbst etwas an, wie man mit diesem Part des Lebens umgeht.

Quellen:

https://medium.com/@mindystern/adoption-is-trauma-its-time-to-talk-about-it-ec675ba328cb

https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/trauma

Zugang für Schwarze Transracial Adoptierte zu Schwarze Räume

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Willkommen zurück!

Auf Instagram habt ihr abgestimmt und wolltet gern einen neuen Eintrag zum Thema Adoption und Schwarzsein in einer Weißen Familie. Ich habe mich entschieden, heute über den Zugang für Schwarze Transracial Adoptierte (TRA) zu Schwarzen Spaces zu schreiben.

Weil unsere Familien (hauptsächlich/teilweise) aus Weißen Menschen bestehen, sind sie selbst nicht in der Black Community verankert. Wenn ein Kind aus einem anderen Kulturkreis oder von einem anderen Kontinent adoptiert wird, wird den perspektivischen Adoptivelternteilen im Adoptionsprozess auch nicht gesagt, wo dieses Kind eine Community seines Herkunftslandes finden kann oder in unserem Fall, dass es eine Communities, Kindergärten, Jugendgruppen, Nachhilfekurse etc. für Schwarze Menschen in Deutschland gibt.

Manche Elternteile fühlen sich auch nicht wohl damit, dass ihre Kinder sich in einen Kreis begeben, in dem sie selbst nicht verankert sind und keinen Zugang zu haben, wodurch es ihnen schwerfällt ihre Schwarzen Kinder darin zu unterstützen, indem sie beispielsweise Aktivitäten und Räume für diese ausfindig zu machen. Genauso wie wir als Schwarze in Weißen Familien manchmal das Gefühl haben können, uns zwischen Weißer Familie und Schwarzer Community entscheiden zu müssen, haben manche Eltern Angst vor genau dieser Entscheidung, welche „negativ“ für sie ausfallen könnte. Das war beispielsweise einer der Gründe, weshalb meine Adoptiveltern mir nicht erlaubt haben, dass ich nicht in Schwarze Kirchengemeinden statt der Kirchengemeinde, der sie zugehörig waren.

Kurz gesagt: Im Gegensatz zu den meisten (nicht allen) Schwarzen Kindern mit einem oder zwei Schwarzen Elternteilen, sind wir nicht von vornherein in der Community verankert und haben keinen so leichten Zugang zu ihr.

Da unsere Familien in vielen Schwarzen Spaces, vor allem Safe Spaces, keinen Platz haben, müssten wir als Kinder alleine in diese gehen, weshalb einige Schwarze Transracial Adoptierte diese entweder erst als Teenager, Erwachsene, oder noch gar nicht entdeckt haben.

Das liegt aber nicht nur am Zugang selbst, sondern auch daran, dass uns auch das Einleben oft schwerer fällt. Ich persönlich habe mich die meiste Zeit meines Lebens nur in Weißen Räumen aufgehalten – meine Schule: weiß, mein Freundeskreis: weiß, meine Familie: weiß, Freunde der Familie: weiß und Jugendgruppen/Kinderfreizeiten: weiß. Über viele Dinge, die Schwarzen in (hauptsächlich/ teilweise) Schwarzen Familien schon von Kleinauf erzählt werden, musste und muss ich mich wie Weiße Menschen erstmal informieren und mein weißer Freund*innen -, Familien – und Bekanntenkreis waren für viele Schwarze, die ich getroffen habe, ein Ausschlusskriterium für die Community. Dazu kommt, dass Schwarze Spaces in Deutschland oft afrikanistisch geprägt sind. Schwarze Menschen verbinden sich also eher über ihr Herkunftsland und nicht primär über ihr Schwarzsein. Dadurch kam ich gar nicht in Schwarzen, gambischen und senegalesischen Räumen klar, sobald klar wurde, dass ich keine der lokalen Sprachen sprechen kann.

Die Black Community ist sehr vielfältig, hat verschiedene Spaces und wenn es keinen für einen selbst gibt, müssen eigen kreiert werden. Manche Schwarze Menschen möchten keinen Platz in den Black Communities, weil sie zu viel Othering und zu viel Ausgrenzung erfahren, zum Beispiel weil sie Weiß gelesen werden oder ein Weißes Elternteil haben oder eben aus Weißen Familien kommen und vieles mehr.

Meiner Ansicht nach sollte keine Schwarze Person in der Community Othering oder Ausgrenzung erfahren. Meiner Ansicht nach sollte auch jedes Kind, das adoptiert ist, kein Othering in der Familie erfahren. Wie ich letzte Woche schon gesagt habe, erfahren Adoptierte Schwarze dieses jedoch von allen Seiten. Für uns ist also wichtig, eine Lücke, eine Nische zu finden, in der das nicht passiert – weder von Weißer noch Schwarzer Seite. Das kann schwer sein, aber es bilden sich gerade viele Spaces und, wenn ihr noch keinen für euch gefunden habt, könnt ihr durch Soziale Netzwerke und ähnliches eigene bilden. Vor allem zurzeit in der Corona–Pandemie finden viele Angebote über Zoom statt, wodurch das Angebot wächst und ihr auch mal Dinge außerhalb eurer Stadt ausprobieren könnt. Auf Instagram werde ich auf ein paar Spaces hinweisen, von denen ich schon Gutes gehört oder selbst erfahren habe.

Adoptiert und Schwarz in Weißer Familie

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Dieser Eintrag dreht sich um das Thema „Adoptiert und Schwarz in Weißer Familie“. Ich werde häufiger über den Querschnitt (die Intersektionalität) von Adoption und Schwarzsein in Weißen Familien schreiben, weil es meiner Meinung nach einen eigenen Platz in der gesamten Konversation meines Blogs braucht. Adoption und Schwarzsein sind Themen, die schon alleinstehend viele Facetten haben. Werden sie kombiniert, eröffnen sich nochmal ganz neue Gründe. Ich werde heute als Einstieg einfach ein bisschen von mir als Schwarze Transracial Adoptierte (TRA) schreiben und freue mich, wenn auch andere TRAs einen Beitrag zu diesem Thema (gern auch anonym) veröffentlichen möchten. Ganz kurz vorab: Den Begriff „Adoptivkind“ setze ich nicht in Anführungszeichen, um ihn abzuwerten oder ähnliches. Bei allen Ausdrücken und Sätzen, die ich in Anführungszeichen setze, zitiere ich Menschen, die mich so beschreiben/beschrieben haben.

Ich bin in einer Weißen Familie in der Berliner Vorstadt aufgewachsen – damals und immer noch, der weißeste Ort, den ich kenne. Anders als Schwarzsein, das ich in meiner Kindheit nie richtig verstanden habe, lag adoptiert zu sein für mich schon immer auf Hand. Ich denke, so wirklich deutlich wurde es, als andere Leute angefangen haben, mich als „das Adoptivkind“, „die Adoptivschwester“ und „das andere Kind“ zu bezeichnen. Es war mir immer komisch, wenn ich auf diese Art und Weise geothert wurde.

Obwohl ein großer Teil meiner Familie aus Polen kommt, fingen manche Verwandte und Bekannte dann an, ausschließlich mich exzessiv auf meine „so schön exotische“ Herkunft anzusprechen. Dann haben sie mich auch auf meine Hautfarbe angesprochen, mich mit schokoladigem Essen verglichen und fragten, wann ich denn wieder zurückginge. Den Querschnitt von Schwarzsein und Adoptiertsein habe ich vor allem dann gemerkt.

Viele von ihnen haben das auch so gesagt, als wäre ich hier nur so zu „Gast“ in meiner Familie – wie eine Austauschschülerin, die eine 18 Jahre lange Auslandserfahrung macht.  Sie sagten dann nach einem Urlaub im Ausland: „Da wusste ich auch mal, wie das ist“. Dabei ist für mich der einzige Ort, wo ich mich als Ausländerin sehe, im Ausland – also außerhalb Deutschlands. Manche meiner Familienmitglieder sagen sogar heute noch, dass ich hier nur zum „mitleben versuchen“ bin. Immer mit einem gewissen Unterton, der vermittelt: So richtig hier hingehören tust du ja nu auch nicht.

In meinem Umfeld war ich vor allem das “Adoptivkind aus Afrika”. Viele Menschen haben angefangen, die Charaktereigenschaften, die mich von meinen Geschwistern unterscheiden (oder auch nicht unterscheiden), an meine Hautfarbe zu knüpfen. Mir wurde gesagt, dass ich zum Beispiel sehr gut singen und den Rhythmus halten kann, weil ich das als Schwarze ja „im Blut“ hätte. Dabei sind alle in meiner Familie musikalisch aufgewachsen, haben musikalisches Talent und können den Rhythmus halten.

Da ich Weiß sozialisiert bin, war es für mich sehr schwer, in Schwarzen Räumen Fuß zu fassen und mich mit anderen Schwarzen zu sozialisieren. Mit ungefähr 16 Jahren bin ich an die öffentlichen Orte der Community gegangen, obwohl mir die Black Community als solche noch nicht bekannt war. Ziemlich lange wusste ich nicht, dass es solche Angebote und Räume hier gibt. Auch von den öffentlichen Orten habe ich sogar von meinen Weißen Freund*innen erfahren, weil sie in Berlin all die interkulturellen Orte ausprobierten und ich immer nur in Weißen Räumen war – und auch das Gefühl hatte, dass ich in Schwarzen Räumen nicht sein darf, weil es sich gegen meine Weiße Familie richtet. In den Schwarzen Spaces war ich vielen Menschen aber dann einfach nicht „black enough“, sobald sie wussten, dass meine Familie nicht Schwarz ist, meine Freund*innen fast alle weiß sind und ich vorher auch keine wirkliche Verbindung zu Schwarzen Menschen hatte. Sie meinten, mein Englisch sei „white“, meine Familie und mein Freundeskreis seien „too white“ und ich hätte keine Ahnung von Kultur, Essen und Landessprachen. Auch für sie war ich dann ganz oft die Pseudo–Schwarze, die jetzt irgendwie in ihrer Identitätskrise Anschluss finden will. Das hat dazu geführt, dass ich mich bei Schwarz und Weiß ganz lange zwischen den Stühlen gefühlt habe. Für die eine Seite war ich das Schwarze „Adoptivkind aus Afrika“, das eh irgendwann zurückgeht, weil sie nicht wirklich hier hingehört, und für die andere Seite war ich „not black enough“.

Als Schwarzes Adoptivkind habe ich Othering von allen Seiten erfahren. Ständig und überall. Es hat lange gedauert, dass ich mich halbwegs angenommen habe. Diesen Blog zu schreiben, hätte ich mir vor einem Jahr gar nicht vorstellen können – eigentlich nicht mal vor ein paar Monaten.

Es werden zwei sehr große, facettenreiche Themen verbunden, die man als Transracial Adoptierte irgendwie in sich vereinen muss – und das finde ich super schwer. Es sind oft die kleinen Dinge, an denen ich mich gestoßen habe und stoße: Dass andere Menschen mich und meine Schwester komisch angucken und ungläubig Fragen stellen, wenn wir sagen, dass wir Geschwister sind. Aber auch die großen Dinge, bei denen Mitschüler*innen mich beleidigten, weil ich adoptiert bin, wenn sie nicht gerade dabei sind, eine Beleidigung zu meiner Hautfarbe zu droppen. Adoption und Schwarzsein haben mich in vielerlei Hinsicht einfach zu einer Angriffsfläche gemacht und ich hatte immer das Gefühl, ich müsste mir einen doppelten Schutzanzug überziehen.

Mittlerweile mache ich diesbezüglich immer mehr und mehr mein eigenes Ding. Ich bin „black enough“ für mich, weil ich meine Blackness selbst definiere. Ich sehe mich nicht als Austauschschülerin in meiner Familie, weil ich nicht zu Gast, sondern fester Bestandteil bin. Ich sehe mich nicht als Ausländerin in Deutschland, weil ich hier groß geworden bin und meinen Lebensmittelpunkt bewusst hier gewählt habe. Das ist auch das, worum es für mich in diesem Blog geht: Das eigene Ding, den eigenen Space Bi_PoC zu finden.

Keine Person kann definieren, wie schwarz oder weiß ich bin, wie deutsch oder gambisch, wie senegalesisch oder auch wie polnisch, außer mir. Immer wieder kommen neue Dinge mit der Adoption und dem Schwarzsein zusammen, die irgendwie neu verortet werden müssen. Aber dann verorte ich sie.

Ich werde bezüglich dieses Themas auf jeden Fall noch vieles ansprechen: Vom Umgang mit den eigenen Haaren über den Zugang zur Black Community bis hin zum Kontakt zu den leiblichen Verwandten. Input und Vorschläge, Gedanken und Diskussionen zu diesem und anderen Themen sind wie immer willkommen.